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Alles-Andere-Texte
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Hier werden Texte von (nf) vorgestellt, die alles Andere beschreiben. 
 
 
 
 Einführungs-Rede-Text zur Eröffnung der Kunstausstellung KUNST IST KUNST. ALLES ANDERE iST ALLES ANDERE 09-05-2008 -   - 
 

 

Einführungs-Rede-Text 09-05-2008 KUNST IST KUNST. ALLES ANDERE iST ALLES ANDERE Kustausstellung  Stadtgalerie Lünen (Hansesaal) 09.05 bis 01.06 2008 welches eigentlich ein vorlesen eines Prosa-Textes von (nf)  war, der in der Mitte der RahmenGeschichte von KaEl eingebettet ist.   

Es war dies eines der eher seltenen Zusammentreffen mit KaEl, der eigentlich Karl Ludwig Kunzsch heißt. Sagt aber keiner, alle die ich kenne und die KaEl kennen, sagen einfach KaEl zu ihm. KaEl ist Maler.  
KaEl arbeitet als Maler nach den zwölf Wegen von Ad Reinhardt, der in den Fünfzigern und Sechzigern des vorigen Jahrhunderts als Vorläufer der Konzeptkunst und des Minimalismus gilt.  
Reinhardt's Rules     

Ich laß das hier mal so stehen.  
KaEl nimmt das sehr Ernst in seinem Arbeiten. Er reduziert alles was alles Andere sein könnte, - um Ordnung in das Chaos des Anderen zu bringen. Daher malt er ausschließlich schwarze und weiße, quadratische Bilder. Das nun schon eine ganze Zeit lang, und er hat viele Bilder gemalt, denn ganz jung ist KaEl auch nicht mehr. Ich halte ihm mal wieder entgegen, dass das Leben und damit wohl ja auch die Kunst, ganz viel alles Andere ist, wenn auch viel, viel absurder als schwarz und weiß.  
„ Und wie, bitte schön, sieht das aus?“ fragt mich KaEl.  
Deshalb hier jetzt eine Geschichte, eine Lebensgeschichte, oder ein in der Geschichte leben, eine Geschichte aus dem alles Anderen, obwohl da auch schwarz und weiß vorkommt , aber auch viel anderes.  

Die Geschichte beginnt, als ein junger Mann, schwarz gekleidet, aus der Pariser U-Bahnstation Place Pigalle emporsteigt, während gleichzeitig ein Schiff mit neunundneunzig Passagieren an Bord im Roten Meer versinkt. Doch kann das auch schon das Ende der Geschichte sein. Doch in dieser Zeit erklimmen dreiundzwanzig Berner Grundschüler vergebens die vierzehn Treppenstufen bis zum Eingang ihrer Elementarschule, da die große Uhr über dem geschlossenen Schultor acht Uhr und drei Minuten anzeigt. Das ist eine Zeit, wo der Maler O. in Brugge gerade aufwacht und beschließt, sich auf die andere Seite seines Bettes zu drehen und weiter zu schlafen. Ein Traum beginnt in Brugge zu leben, und eine alte Frau beschließt in einem Prager Krankenhausbett zu sterben. Ihr Sohn eilt in der Glut der afrikanischer Mittagshitze in Durban in einen Einkaufstempel auf dessen Dach vierundvierzig Palmen in Kübeln blühen. Drei Männer mit schwarzer Hautfarbe und langen weißen Bärten spielen in ihrem Schatten Schach. Sie wiederholen immer die gleiche Partie, die immer Remis endet. Ein Luftschiff fährt im nördlichen Atlantik über einen gewaltigen Eisberg, welcher von einem Schiff mit neunundneunzig Passagieren an Bord nach Süden hin gezogen wird. Eine rosa Wolke am blauen Himmel verschluckt das Luftschiff, welches nun mit dem Nebelhorn tutend und der Luftschiffglocke bimmelnd, in der Wolke umherirrt. In Bern staunen dreiundzwanzig Grundschüler, die auf der Treppe vor dem verschlossenen Schultor ihrer Elementarschule sitzen, über eine tutende und bimmelnde rosa Wolke über ihren Köpfen. Der Sohn der in einem Prager Krankenhausbett sterbenden alten Frau probiert in einem Einkaufstempel in Durban schwarze Unterwäsche an, passend zu seinem schwarzen Anzug, dem schwarzen Hemd, dem schwarzen Mantel und den schwarzen Schuhen, die schon verpackt an der Kasse bereitliegen. Die drei Männer mit schwarzer Hautfarbe auf dem Dach des Einkauftempels machen Pause vom Schachspiel, schlürfen heißen Tee und kämmen sich ihre langen weißen Bärte. Das Luftschiff dockt an dem Fahnenmast der Berner Elementarschule an, lässt eine Strickleiter herab und dreiundzwanzig Grundschüler steigen sie zum Luftschiff empor. Gerade als die große Uhr über dem verschlossenen Schultor der Schulklingel das Zeichen für eine Pause gibt, legt das Luftschiff ab vom Fahnenmast, um noch rechtzeitig um sechszehn Uhr am Atelierfenster des Malers O. in Brugge vorbei zufahren und ihn aus seinem Traum zu holen. Die alte Frau in dem Prager Krankenhausbett beschließt nicht zu sterben und bestellt sich telefonisch eine Hühnernudelsuppe bei ihrem Lieblingschinesen in der Prager Straße, was hier in Prag sicher so nicht stimmen kann, aber in Berlin hat auch neunzehn mal die Berliner Straße. Sie bucht so dann eine Schiffsreise in die Arktis auf einem Schiff mit nur neunundneunzig Passagieren. Der Maler O. malt in Brugge ein Luftschiff mit dreiundzwanzig Grundschülern in seinen Traumfarben. Ein schwarz gekleideter Herr steigt aus der U-Bahnstation  Französische Straße auf die Friedrichstraße in Berlin, gleich da bei dem französischen Kaufhaus Galeries Lafayette, wo davor eine dicke, weiß gekleidete Sopranistin irgend eine Arie von Puccini in russisch singt, wobei zwei Männer in asiatischen Trachten auf asiatischen Saiteninstrumenten zupfend und fidelnd sie begleiten. In Durban schneit es gerade ganz unerwartet. Ein ganz in schwarz verkleideter Mann mit vielen Einkaufstaschen und Paketen vor einem Einkaufstempel in Durban ruft ein Taxi herbei und möchte zum Luftschiffhafen gefahren werden. In Bern klingelt es in einer Elementarschule zum Schulschluß. Im Musikzimmer schreibt die Musiklehrerin dreiundzwanzig mal, unentschuldigt gefehlt, in das Klassenbuch, dabei irgend eine  Sopranarie von Puccini leise auf italienisch summende, welche vom Plattenspieler her die ganze Berner Elementarschule ausfüllt,. Die alte Frau steht vor dem Prager Krankenhaus und wartet auf ihren Sohn, dem Sie telefoniert hat, daß er sie abholen kommen soll. Das Ticket für die Schiffsreise, auf dem ein Luftschiff vor einer rosa Wolke aufgedruckt ist, hat sie in ihrer Handtasche. Der Maler O. in Brugge hat eine Leinwand bemalt, ein mit bunten Farben gemaltes Luftschiff ist auch darauf. Jetzt steht er in der Bierkneipe und redet über seinen Traum. In Durban spielen drei alte Männer mit schwarzer Hautfarbe und langen weißen Bärten unter vieundvierzig schneebedeckten Palmen in Planzkübeln auf dem Dach eines Einkaufstempels Schach, – ach.  

P.s. In dieser Geschichte stimmt so gar nichts, - und doch, gerade als ich die Geschichte beenden will, reißt dem einen asiatischen Musiker vor dem französischen Kaufhaus Galeries Lafayette in Berlin eine Saite, - und auch immer mehr Schmetterlinge sterben aus, … und über Kriege ist noch nicht mal was gesagt!  

nikolaus fels (nf) / 2007  
  
„Ja!“ sagt KaEl nach einer Weile, „ Das ist Alles Andere.“. Gut, wenn ich in der Lage wäre, dieses alles Andere auf die Leinwand zu malen, auf Papier zu zeichnen oder Aquarellfarbe dazu zu nehmen, oder es eine Druckgrafik sein wird, oder ein Objekt aus Glas oder Edelstahl, eine Installation, selbst wenn es eine  Performence ist, ist das Kunst!“  
KaEl schaut mich spöttisch an und redet weiter: „ Gut, wenn Du deine Geschichte von eben vorließt, oder sie in einem Buch veröffentlicht wird, ja dann wird das wohl auch Kunst sein; - aber ich glaube, es ist doch eher alles Andere.“  
Sprachs, leerte sein Glas, steht auf, und ich sitze da, und weiß nicht, ob ich doch schwarze oder weiße quadratische Bilder malen sollte.  
Aber ich mag meine Geschichte, auch wenn sie nur alles Andere sein sollte.  


 

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