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DigitalZeichnung / K.P.M.Wulff /07
 
Nikolaus Fels
Kavala 

Die hier vergehenden Augenblicke belasten mein Zeitkontingent. Es hat eine kurze Zeit, aber es hat noch einige Dauer bis zu seinem Ende. Dann wird die Fähre mich zu der Insel hinüber bringen. Jetzt schreite ich aber noch durch die dampfenden Gassen der Altstadt. Ein Regenschauer und die Wärme der Mittagssonnen machen dieses. Die Schwüle des Tages lastet auf allem hier. Selbst die Wasser, die von den Markisen vor den Geschäften abtropfen, fallen träge. Ich könnte diese Wassertropfen mit der Hand fangen, wie die Fliegen auch. Ich tue es nicht. Auch ich bin träge. Die Geschäftigkeit im Altstadtviertel hat sich der Mittagsschwüle ergeben. Es bleibt mir daher verlängerte Zeit für mein Suchen. Ich suche immer. So wie jetzt, bin ich immer auf der Suche nach etwas. Es kann sein, dass ich überhaupt nicht finden will. Es bleibt aber nicht aus, das Finden. Es findet sich immer was. "Na dann find mal schön." , mit diesen Worten bin ich heute früh in diese Stadt hier entlassen worden. Es ist die melancholische Musik, die mich dieses Café betreten läßt. Der dunkle und kühle Raum trennt mich sofort von der Schwüle der Straße. Die Nässe in meiner Kleidung verdampft sichtbar und macht mich frösteln. Ich sehe in verständnislose alte Männergesichter. Nicht ich, noch sie weichen dem Blick des anderen aus. Ich darf bleiben. Ich wäre auch so geblieben, weil ich auf der Suche nach dem Finden bin. Hier will ich finden. Ich finde Fremdsein. Ich finde schmalzige Musik aus einem scheppernden Radio. Ich finde, wie sich diese Musik in den Raum drängt um doch auf die Straße zu entweichen. Sie nimmt die Stimme der Sängerin mit sich fort, einer Stimme, der ich länger als die ihr hier zugestandene Radiosendezeit zugehört hätte. So aber wieder einen Grund für ein Suchen gefunden und das Hoffen auf das Finden. Dazu dann später, jetzt sitze ich in diesem Cafe. Hier finde ich das schlanke Mädchen, das sicher schon eine Frau ist, hinter dem mit Neonlicht beleuchteten Tresen. Die schwarzen Haare mit einem hellblauen Seidenband nach hinten gezwungen, entblößt es so die große, gebogene Nase. Das dünne schwarze Kleid modelliert die Magerkeit ihres Körpers . Die geschlossene schwarze Häkeljacke spannt sich über die spitzen BH-modellierten Brüste. Ich sehe das und einiges mehr und ich sehe nicht weg, ich sehe das aber hier nicht als einziger. Ich finde endlich einen der zahlreichen freien Tische, setze mich. Der Tisch hat einen Vierkantmetallrahmen. Die Tischbeine sind aus gleichem Material. Sie sind beige gestrichen. Die Tischplatte ist aus Spanplatte mit aufgepreßten Holzimitat aus Plastik. Am Rand abgeplatzt, wölbt es sich dort nach oben. Mein Tisch hat eine weiße Plastiktischdecke darüber gelegt bekommen. Dies hat er als einziger Tisch hier. Ich suche nach dem Warum. Die weiße Plastiktischdecke imitiert eine Spitzendecke. Ich finde dieses Motiv bei gehäkelten Spitzendecken in Brügge. Darum, hier aber ist es gepreßtes Plastik. Ich sitze auf einem Vierkantmetallrahmenstuhl, der ein hellbraunes, angeschmutztes, an den Nähten zum Teil aufgeplatztes, durchgesessenes Sitzkissen besitzt. Immerhin ein Ort zum Suchen und Finden, hier wo alles sofort und freigiebig sogleich Geschichten erzählt. Ich finde hier Zeit, viel Zeit und Neugier. Ich bin mir der Geschichten hier sicher. Ich muß sie nur noch finden - und aufschreiben. Suchen muß ich hier nichts mehr. Die alten Männer sind mit dem Dominospiel beschäftigt. Ein scharfer Knall durchschlägt die Schummrigkeit des Ortes. Der Dominostein findet seinen ihm zugedachten Platz in der auf dem Tisch schon aufgebauten Steinreihe. Der folgende Spieler läßt es nicht ruhiger angehen. Bei seinem Spielstein zerreißt der Knall die dämmrige Stimmung des Cafes völlig. Es folgt jetzt Knall auf Knall. Das Spiel ist plötzlich zu Ende. Die aufgeregte Diskussion jetzt ist wesentlich leiser als das Knallen der Dominosteine, zumindest angenehmer. Jetzt findet auch der Wirt meinen Tisch. Ich nuschle mein Kalimera und bestelle übergangslos einen Kaffee. Das Glas Wasser bringt mir die junge Frau gleich. Den Kaffee bringt mir dann der Wirt selbst, später, viel später. Die Runde der alten Männer verliert sich mehr und mehr im Palaver um das soeben beendete Spiel. Es ist wie überall. Wenn das gewesen wäre, dann - ...! Der Verlierer zieht die Bilanz der anderen nicht so gewesenen aber so möglich gewesenen Möglichkeiten dieses gerade beendeten Spiel, die ihm somit dann eben den Sieg gebracht hätten. Offensichtlich wollte keiner der Männer das Schicksal nochmals herausfordern. Es gibt kein weiteres Spiel. Der Wirt holt unter dem Tresen einen Schuhkarton hervor. Er trägt ihn zu dem Tisch der alten Männer . Mit seinem Unterarm schiebt er die Dominosteine in den Karton. Er schlurft zum Tresen zurück und stellt ihn dort in das Gläserregal. Mein Kaffee findet endlich auch zu mir. Plötzlich und eiligen Schrittes wird er mir vom Wirt gebracht. Erst der Schukarton mit den Dominosteinen, dann der Kaffe zu mir. Der Wirt setzt sich Prioritäten. Der Kaffee ist heiß. Ich finde den Kaffe zu dünn. Aber sicher empfinde ich dies hier allein so. Vielleicht aber auch nicht, wenn ich die alten Männer von meinem Kaffee trinken ließe und sie mich von ihren. Mein Kaffee ist heiß. Der Kaffee der alten Männer hier im Cafe ist schon lange kalt. Er bleibt es auch. Keiner trinkt davon. Sie schauen mit ihren alten Augen zu dem bunten Bild des Fernsehapparates. Der verbreitet sein flimmeriges Licht aus der Zimmerdeckenecke heraus. Ich finde die Halterung für seine Größe beängstigend zu klein geraten. Was macht es aber schon, was ich finde. Der Fernsehapparat hängt und sendet ein Fußballspiel in das Cafe. Es ist Sommer. Es ist Sommer in Kavala. Es sind hier Ferien. Es ist Schulferienzeit hier. Und im Fernsehen ist zur Mittagszeit ein Fußballspiel zu sehen. Es gibt hier zu jeder Tageszeit ein Fußballspiel im Fernsehen zu sehen. Hier jetzt in diesem Cafe spielt Polen gegen Griechenland. Das kann nur eine Aufzeichnung sein. Die langen Schatten in alle vier Himmelsrichtungen, welche die Fußballspieler im Fernsehbild mit sich ziehen, verrät den Abend als Spielzeit. Es ist eine Aufzeichnung., für die alten Männer ist diese offensichtlich alle male unterhaltsamer, als ein Livedominospiel hier und jetzt im Cafe. Der große lethargische Propeller an der Decke beginnt langsam schneller zu kreisen. Er erreicht ein einen kühlenden Luftzug bringendes Tempo. Warum gerade jetzt diese Wohltat. Der Luftzug bleibt angenehm kühl. Ich finde, ich sollte noch einen Kaffee bestellen. Ich lasse mich auf das Fussballspiel im Fernseher ein. Ich finde es ist wie damals in NY. Da stand ich mit ungefähr dreizig New Yorkern vor dem Barfenster meines Hotels in der 8th Avenue und schaute in den dort aufgestellten Fernsehapparat und fieberte mit den Yankees mit. Es war das wahrscheinlich vorentscheidende dritte Spiel einer Ausscheidungsserie gegen die Indians. Ich glaube, die Yankees haben gewonnen. Egal das, ich war New Yorker. Ich einer von diesen Dreizig vor dem Fenster stehenden. Aber ich war New Yorker. Für diesen kurzen Moment gehörte ich völlig und ohne wenn und aber zu dieser Stadt. Jetzt hier in diesem Cafe in Kavala war ich Grieche. Was sonst. 

 
AGRABABA